Foto: Carla Sabato
Da sass sie nun. Taktisch geschickt mit dem Rücken zum Licht. Auf dem Tisch ein Glas Sekt, ein Schminkköfferchen und ein ausgedrehter, knallroter Lippenstift. Dita von Teese.
Und nein, ich war nicht besonders begeistert von der Vorstellung, ein Interview mit ihr zu machen. (Ich hatte es von einer verhinderten Redaktionskollegin übernommen) Kennen Sie Dita von Teese? Egal wie Ihre Antwort dazu ausfällt, tippen Sie mal ihren Namen bei Google ein. Es erscheinen sowohl freizügige Bilder als auch spannende Wikipedia Artikel. Aktmodell, Playboy-Covergirl, Mitwirkende bei Filmen mit ominösen Titeln wie «naked and helpless». Na, das kann ja heiter werden. Nach einer hastigen Aufstellung von Interviewfragen machte ich mich auf den Weg ins Badrutts Palace, wo die interessante Dame gerade mit einer Burlesque-Show zu Gast war.
Bereits beim Eingang des noblen Hotels verhedderte ich mich hilflos in der Drehtür, sehr zur Belustigung der beiden Türsteher. Nach einer peinlichen Vorstellung beim Concierge (der mich erst nach dem zweiten Ansprechversuch und bei dem Wort Engadiner Post zu bemerken schien), und endloser Wartezeit auf einem schicken Sofa, trat ich zu meinem Interviewtermin an. Stellen Sie sich das bitte bildlich vor.
Dita von Teese: Porzellanweisses Make-up, roter Lippenstift, schwarzer Lidstrich, perfekt frisierte schwarze Locken, Etuikleid, High-Heels mit Bleistiftabsatz.
Carla Sabato: Mehrere Kleiderschichten, ausgelatschte Winterstiefel, wirre Haare vom Stirnband, stechende Kopfschmerzen (welche in unregelmässigen Abständen das linke Auge zucken liessen), durch einen Tag im Büro mit Wassermangel. Kein Abdeckstift.
Nach den ersten fünf Minuten unseres Gesprächs hatte sich mein Bild auf mein Gegenüber völlig verändert. Sie machte ihrem Aussehen überhaupt keine Ehre. Auf eine sehr freundliche und zurückhaltende Art sprach sie über Schönheit, innere Werte und ihre Bewunderung für reife Frauen, sodass mir die imaginäre Kinnlade runterfiel. Keine Spur von Oberflächlichkeit oder Erotik. Natürlich könnte man jetzt entgegenhalten, dass das wohl alles PR ist. Aber ich nahm ihr das Ganze tatsächlich ab.
Plötzlich fühlte ich mich richtig verbunden mit dieser Frau, und das nicht, weil wir gleich klein waren. Wir hatten beide unter der höchst ärgerlichen Tendenz unserer Gesellschaft, Leute auf ihr äusserliches Erscheinungsbild zu reduzieren, zu leiden. (Ich gehöre leider auch dazu, ich weiss) Woher kommt das eigentlich? Weshalb ist eine Person notwendigerweise genau so, wie sie aussieht? Sind Leute einfach zu faul, um mehr über andere Menschen nachzudenken, und nehmen stattdessen einfach das Äussere als Referenz? So lässt es sich wohl leichter leben – für Betroffene allerdings ist es höchst frustrierend.
Mit dem Image als Pornosternchen und Tänzerin in einem überdimensionierten Martini-Glas wurde ihr nicht zugetraut, tiefgründige Gedanken zu haben, die ernst gemeint sind.
Mir dagegen wurde oftmals nicht zugetraut, dass ich wirklich so alt bin, wie ich bin. («Du siehst aber aus wie 14!») Oder dass ich tatsächlich Artikel gegen Entlohnung für eine Zeitung schreibe, und nicht von der Schule aus am Schnuppern bin.
Dita von Teese hielt zu diesem Dilemma eine überraschend effektive Lösung bereit: «Was andere über mich sagen oder von mir denken, perlt an mir ab, wie das Wasser vom Rücken einer Ente tropft!»
Die gute Frau hatte Recht. Alles was zählt ist, dass man mit sich selbst, und dem was man tut, im Reinen ist. Andere haben dabei nichts zu melden. Und übrigens: What goes around, comes around!
Als ich beschwingten Schrittes das schicke Hotels verliess, hatte ich für den Concierge ein höfliches Lächeln übrig. Bei der Drehtür erwischte ich das Abteil auf Anhieb, und trat ungehindert auf den vereisten Vorplatz. Vor mir sah die Welt irgendwie ganz anders aus.
Carla Sabato
Carla Sabato ist Studentin, ehemalige Praktikantin bei der Engadiner Post, Hobbyfotografin (liebend gerne in der Dunkelkammer), stolze Vegetarierin, Yoga-Praktizierende, Verfechterin gemässigter Klimazonen, Frühaufsteherin, Hundehalterin, Pragmatikerin, schwarze Rollkragenpullover Trägerin, Teilzeit Existentialistin, Raus-aber-richtig-Frau, schlechte Autolenkerin und Möchtegern-Vancouverite.
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