Es gibt viele schöne Flussabschnitte entlang des Inns. Dazu gehört zweifelsohne auch die Strecke unterhalb der Wasserfassung der Engadiner Kraftwerke in S-chanf flussabwärts. Vor allem der Teil unterhalb der Brücke, wo am Marathon-Wochenende die Langläuferinnen und Langläufer in Richtung Ziel spurten, ist atemberaubend. Der Fluss hat sich hier durch hohe Nagelfluhwände sein Bett gefressen, tiefe Pools, schnelle Flussabschnitte, grosse Steine, welche vom Wasser umspült werden, prägen diesen Landschaftsteil. Kein Wunder ist dieser Flussabschnitt zwischen S-chanf und der Mündung der Vallember, einem Seitenfluss aus der Val Susauna bei Chapella, auch bei Fischerinnen und Fischern höchst beliebt. 

 

Fischen bis auf Weiteres verboten

Doch mit Fischen in diesem Abschnitt ist es in den nächsten Jahren vorbei. Am 31. März hat das Departement für Infrastruktur, Energie und Mobilität Graubünden bis auf Weiteres ein generelles Fischereiverbot erlassen. 

Der Hintergrund: Im August 2020 wurde dort eine Gewässerverschmutzung durch tote Fische festgestellt. Nun zeigt sich, dass das Ganze viel schlimmer ist: Kontrollbefischungen nach dem Ereignis und eine weitere Bestandskontrolle im vergangenen Jahr zeigen, dass auf der betroffenen Strecke der Fischbestand fast vollständig ausgelöscht ist. Auch Jungfische gibt es dort keine mehr, der Gesamtbestand hat massiv gelitten. «Für den Wiederaufbau beziehungsweise die natürliche Regeneration des Fischbestandes erachtet es das Amt für Jagd und Fischerei für zwingend notwendig, die fischereiliche Nutzung im betroffenen Innabschnitt auf unbestimmte Zeit auszusetzen», so der Wortlaut der Verfügung des Departements. Gemäss Marcel Michel, Fischereibiologe beim kantonalen Amt für Jagd und Fischerei, wurde auch das Makrozoobenthos, also tierische Kleinstorganismen getötet, von einem Totalausfall will er aber nicht sprechen. «Solche Organismen können sich oft sehr schnell regenerieren, wenn nicht eine allzu grosse Strecke betroffen ist», sagt er. Das habe man auch nach dem PCB-Unfall am Spöl gesehen. 

 

Kein strafrechtliches Verhalten

«Die Kantonspolizei Graubünden hat die Ermittlungen zur Gewässerverschmutzung aufgenommen», hiess es damals in einer Medienmitteilung. Was haben diese Ermittlungen gebracht, gibt es Schuldige für die Gewässerverschmutzung, die zur Rechenschaft gezogen worden sind? Die EP/PL hat bei der Staatsanwaltschaft Graubünden nachgefragt. Staatsanwalt Franco Passini sagt, dass die Untersuchungen gezeigt hätten, dass das Ereignis auf ein undichtes Anschlussstück zwischen dem Abpumpschlauch und einem am Vorabend ausgewechselten IBC-Tank für Flockungsmittel bei der direkt am Inn gelegenen Abwasserreinigungsanlage (ARA) zurückzuführen sei. In der Folge trat Flockungsmittel vom frisch gewechselten IBC-Tank aus, gelangte in den Inn und verursachte das Fischsterben. Gemäss Passini konnte den Mitarbeitern der ARA in strafrechtlicher Hinsicht kein pflichtwidrig unvorsichtiges und mithin fahrlässiges Handeln im Zusammenhang mit dem Wechsel der IBC-Tanks nachgewiesen werden. «Die Staatsanwaltschaft hat im Februar 2021 die Untersuchung eingestellt. Die Einstellungsverfügung ist rechtskräftig», betont er. 

 

Schuldspruch in zweitem Fall

In einem zweiten Fall am selben Standort und in derselben Zeit kam es hingegen zu einem Schuldspruch. Dort gelang bei den Sanierungsarbeiten an der EKW-Anlage in S-chanf Betonwasser in den Inn. Das AJF hatte damals einen Antrag auf Schadenersatz gestellt, welchem auch stattgegeben wurde. «Das nützt den Fischen zwar nichts, aber es musste jemand für den Schaden geradestehen», sagt Marcel Michel. 

 

Vier bis fünf Jahre

Wie lange der Fischbestand braucht, um sich natürlich zu regenerieren, ist offen. Michel geht – auch mit den Erfahrungen beim Spöl – von vier bis fünf Jahren aus. Optimistisch stimmt ihn, dass es noch einen kleinen Restbestand an Fischen gibt und dass unterhalb der betroffenen Strecke ein ansprechendes Fischvorkommen besteht. «Mit dem Fischereiverbot möchten wir schauen, ob und wie schnell sich der Fischbestand durch Selbstregulation und Einwanderung von unten wieder erholen kann», betont Michel. 

Autor und Foto: Reto Stifel