Die SVP fordert, dass die drei Gemeinden Sils, Celerina und Bever ihre kürzlich beschlossenen Planungszonen wieder aufheben. Ausgerechnet die Partei, die immer wieder die Gemeindeautonomie beschwört.
Stefan Metzger: Die Bundesverfassung schützt die Gemeindeautonomie und die Eigentumsgarantie. Die Gemeinden haben – wie der Bund und die Kantone auch – das Privateigentum zu respektieren und zu schützen. Leider verlieren Behörden, also Regierungen, Gemeindevorstände und die Verwaltung mit ihrer Verwaltungswut, aber auch Parlamentarier mit ihrer Gesetzgebungswut immer mehr ganz grundsätzlich in diesem Bereich den Respekt am Privateigentum und an dem, was sich jeder Bürger erwirtschaftet hat. Der Staat enteignet still und schleichend, und das entschädigungslos.
Sils und Celerina haben die Planungszonen vor allem erlassen, damit unerwünschte Entwicklungen wie beispielsweise der Verkauf der Chesa Faratscha in Celerina verhindert werden können. Die Gemeinden wollen damit Zeit gewinnen und in einem partizipativen Prozess mit der Bevölkerung nach Lösungen suchen. Was spricht dagegen?
Planungszonen sind gravierende Eingriffe in das Privateigentum. Sie sollten deshalb sehr zurückhaltend und nur für eine kurze Zeitspanne erlassen werden. Planungszonen werden sehr oft sogar mehrfach verlängert. Sie bestehen dann viele Jahre, ohne dass man sich mit einem raschen Resultat gegen diesen Grundrechtseingriff wehren kann, weil auch die Regierung sowie das kantonale Verwaltungs- und das Bundesgericht viele Jahre brauchen, um eine Planungsbeschwerde gegen die Planungszone oder eine gerichtliche Beschwerde gegen die Unterstellung eines Bauprojekts unter eine Planungszone abzuhandeln, womit die Planungszone faktisch sehr lange weiterbesteht.
Eine Planungszone kann auch dazu führen, dass Umnutzungen vorerst nicht möglich sind und auch die Mieterinnen und Mieter Zeit gewinnen.
Die Leerkündigung von Mietwohnhäusern erfolgt nach den Regeln des privaten Mietrechts. Dieses gewährt insbesondere bei angespannten Marktverhältnissen gute Möglichkeiten, um Mieter zu schützen, sei es vor missbräuchlichen Kündigungen, sei es mit Mieterstreckungsmöglichkeiten über mehrere Jahre, sei es durch Anfechtungsmöglichkeiten beim Anfangsmietzins oder bei Mietzinserhöhungen. Die regionale Mietschlichtungsbehörde und das Regionalgericht kennen die regionalen Verhältnisse gut. Es ist ein einfaches, rasches Verfahren vorgeschrieben.
Kurzum: Das Privateigentum an Grundstücken soll doch nicht über öffentlich-rechtliche Eingriffsverwaltung und partizipative Verfahren verhandelt werden. Das ist Umverteilungspolitik. Hingegen besteht im Verhältnis Vermieter und Mieter wie dargelegt heute ein sehr gut ausgebauter Schutz zugunsten des Mieters. Er wird – sofern er im Einzelfall berechtigt ist – auch vom Staat, nämlich der dritten Staatsgewalt, den Gerichten gewährt.
Sie setzten sich dafür ein, dass in altrechtliches Wohneigentum, welches von Einheimischen bewohnt wird, nicht gesetzlich eingegriffen werden darf. In solches von Zweitheimischen aber schon?
Die SVP wehrt sich generell gegen staatliche Eingriffe in das private Eigentum.
Die SVP propagiert die Förderung des freien Marktes. Hat sich in den letzten Jahren nicht gezeigt, dass genau das nicht funktioniert? Ein knappes Angebot trifft auf eine enorme Nachfrage. Ergo gehen die Preise durch die Decke.
Es herrscht Inflation. Die Energiekosten explodieren. Die Einwanderung wird nicht gestoppt. Das macht den Wohnraum bereits knapp und die Wohnkosten teuer. Kommt die Regulierung hinzu: Der Verfassungsartikel Zweitwohnungsbauverbot ist von den Initianten, das Zweitwohnungsgesetz des Bundes ist vom Parlament schlecht formuliert worden.
Und es kommt die Bürokratie hinzu: Ein Baugesuch muss heute in nicht wenigen Gemeinden durch folgende Gremien gehen: Bauamt, Baukommission, Geschäftsleitung und Gemeindevorstand. Ohne Einsprache dauert das aufgrund der Aktenzirkulationen und der Sitzungen auf jeder Stufe schon drei Monate, manchmal – wenn noch Bauberater ihre Gestaltungswünsche anbringen – sogar ein Jahr. Gemeinden sind heute nicht mehr in der Lage, eigenes Personal oder sogar Drittanbieter zu halten und zu finden, die in technischer und in verfahrensrechtlicher Hinsicht ohne zusätzliche externe Hilfe selbst Baugesuche ohne Einsprachen wirklich effizient abarbeiten können. Erfolgen Einsprachen, was in einem Rechtsstaat möglich sein muss, haben die Baubehörden nicht die Hände zu verwerfen. Vielmehr sind auch Einsprachen zügig zu behandeln. Das gilt auch für spätere Gerichtsverfahren. Hier besteht – was die zeitliche Dauer betrifft – beim Verwaltungsgericht von Graubünden Verbesserungsbedarf.
Weiter fordert Ihre Partei, dass neues Bauland geschaffen werden soll. Wie soll das geschehen vor dem Hintergrund des nationalen Raumplanungsgesetzes, gemäss welchem der überwiegende Teil der Engadiner Gemeinden sogar ausgezont werden muss?
Die regionalen und kommunalen Behörden müssen hart und fachlich kompetent gegenüber der Kantonsregierung und der Kantonsverwaltung auftreten. Politische und persönliche Rücksichtnahme unserer Behörden in Chur sind völlig fehl am Platz.
Bauland ist im Oberengadin zwar knapp, aber durchaus noch vorhanden. Das hat unlängst nicht nur die Expertise zuhanden der Präsidentenkonferenz bewiesen, sondern das wird ja durch den Umstand belegt, dass der Kanton Auszonungen verlangt. Solange diese noch nicht erfolgt sind – wogegen man sich wehren kann und muss – kann in diesen Baugebieten gebaut werden. Chur kann und darf das nicht verhindern. Deshalb gehören ja auch Planungszonen sofort abgeschafft. Diese bergen zudem die Gefahr von verfassungswidrigen Ungleichbehandlungen. Ein Baulustiger mit guten Beziehungen zum Vorstand erhält die Baubewilligung. Ein solcher mit weniger guten Beziehungen läuft Gefahr, die Bewilligung durch Unterstellung unter die Planungszone nicht zu bekommen. Das ist schwer nachweis- und damit schwer verfolgbar und mit hohem Risiko verbunden. Aber dieses Phänomen gibt es durchaus, auch wenn es natürlich behördlicherseits verneint wird.
Sie geisseln die staatliche Regulierung, die in der Vergangenheit immer wieder zu teurem Wohnraum geführt habe, in der gleichen Mitteilung aber schlagen Sie vor, dass der Staat die von der Wohnungsnot schwer getroffenen Personen unbürokratisch unterstützen soll. Das ist doch ein Widerspruch?
Überhaupt nicht.
Wie genau soll denn diese Unterstützung geschehen?
Nicht durch raumplanerische Massnahmen. Bis diese – teuer – erfolgt sind und bis der Wohnraum erstellt ist, vergehen sieben bis zehn Jahre oder noch mehr. Dann besteht mit einiger Sicherheit keine angespannte Mietwohnungssituation mehr; und den heute Betroffenen nützt das nichts.
Unbürokratische Hilfe erfolgt durch den Staat, indem man Betroffene in angespannten Mietwohnsituationen bei der Suche von Mietwohnraum hilft, sie über tiefere Steuern und Steuererlasse und generell mit weniger Gebühren belastet; gerade in der aktuellen Zeit. Und die Baubehörden der Gemeinden müssen die Privatpersonen und Unternehmen in ihren Bauvorhaben über eine professionellere und vor allem viel zügigere Verfahrensabwicklung unterstützen. Die Bauämter müssen das Verfahren fachlich und technisch von A bis Z beherrschen.
Die Kompetenz für die Erteilung von Baubewilligungen könnte an einen Vorstandsausschuss oder – was noch besser wäre – sogar auf die Verwaltungsbehörde, auf den Leiter des Bauamtes delegiert werden. Das kantonale Recht gibt den Gemeinden diese Gesetzgebungskompetenz. Im kommunalen Steuerrecht ist das bereits realisiert. Mit etwas politischem Willen könnten die Gemeinden diese kommunale Gesetzgebungsänderung rasch einführen. Solche Massnahmen führen zu einer zügigeren Baulandmobilisierung.
Kurz: Ist die SVP der Meinung, dass es im Oberengadin das Problem der Wohnungsnot gibt?
Es gibt zur Zeit eine angespannte Situation auf dem Mietwohnungsmarkt. Die Ursache hierfür wurde dargelegt.
Stefan Metzger ist Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht. Er ist neu Präsident der SVP Oberengadin und in diesem Frühjahr als Grossrat gewählt worden.
Autor: Reto Stifel
Foto: Daniel Zaugg
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