Vor einem Jahr hat die Staatsanwaltschaft Graubünden auf Geheiss des Bundesgerichtes die Untersuchung im Zusammenhang mit dem Tod von acht Menschen beim Bergsturz von Bondo wieder aufgenommen. Zu klären gilt es die Frage, ob der Bergsturz voraussehbar gewesen wäre und somit die Behörde verantwortlich gemacht werden könnte für den Tod der acht Bergwanderer, die beim Abstieg von der Sciora-Hütte von den niedergehenden Felsmassen verschüttet worden waren. 

 

Mögliche Befangenheit

Gemäss Staatsanwalt Bruno Ulmi, wurde den Parteien nach Wiederaufnahme des Verfahrens am 22. September mitgeteilt, dass zur Voraussehbarkeit des Ereignisses ein Gutachten in Auftrag gegeben wird. Die Parteien konnten daraufhin der Staatsanwaltschaft Expertenvorschläge unterbreiten, diese hat sich für einen Experten entschieden und auch den Fragekatalog festgelegt. Im Februar dieses Jahres habe man den Parteien die Möglichkeit gegeben, sich zum von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Experten und zum Fragenkatalog zu äussern. Daraufhin hätten einzelne Parteien ein Ausstandsgesuch gestellt mit der Begründung, dass der Experte befangen sei. Wie «Rendez-vous» von Radio SRF am Donnerstag berichtete, handelt es sich beim von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Experten um einen Schweizer Geologen. Der Grund für die mögliche Befangenheit: Seine Firma, bei der er Verwaltungsratspräsident und Teilhaber ist, arbeite seit langem gelegentlich mit dem involvierten Amt für Wald und Naturgefahren zusammen.

«Die Firma des vorgeschlagenen Experten hatte zwar nie einen Auftrag am Piz Cengalo. Doch sie war zum Zeitpunkt des Bergsturzes substantiell an einem Unternehmen beteiligt, dass seit 2013 im Gefahrenmanagement rund um den Piz Cengalo tätig ist», so die Recherchen von Radio SRF. https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/bergsturz-bondo-umstrittener-gutachter?partId=12239718

 

Kantonsgericht muss entscheiden

Beschwerdeinstanz in einem solchen Fall ist das Kantonsgericht, wo der Fall gemäss Ulmi seit dem 31. März liegt. Wie lange es dauern könnte, bis das Kantonsgericht entscheidet, konnte Ulmi auf Nachfrage nicht sagen. Dass die Parteien in einem solchen Verfahren ein Mitspracherecht bei der Wahl eines Experten und der Zusammenstellung des Fragenkataloges haben, ist gemäss Ulmi üblich und in der Strafprozessordnung so geregelt. 

Weil beim Bergsturz von Bondo acht Personen ums Leben gekommen waren, musste die Bündner Staatsanwaltschaft von Amtes wegen der Schuldfrage nachgehen. Die Anklagebehörde kam zum Schluss, dass der Bergsturz nicht voraussehbar gewesen sei und das Verfahren einzustellen sei, das Kantonsgericht stützte später diesen Einstellungsentscheid. 

 

Zweifel an Objektivität des Berichts

Die Angehörigen der Todesopfer akzeptierten das nicht. Sie verlangten ein unabhängiges Gutachten zur Klärung der Voraussehbarkeit des Ereignisses und somit auch zur Schuldfrage. Nachdem sie mit ihrem Anliegen sowohl vor der Staatsanwaltschaft wie auch vor dem Kantonsgericht abgeblitzt waren, zogen sie den Fall ans Bundesgericht weiter. Dieses gab ihnen im Februar 2021 recht. Die Richter in Lausanne kamen zum Schluss, dass die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchung und somit die Einstellungsverfügung auf einen Bericht des kantonalen Amtes für Wald und Naturgefahren abgestützt hatten. Das Bundesgericht hegte Zweifel an der Objektivität des Berichtes, da an diesem mehrere Personen mitgewirkt hätten, die im Verfahren als Beschuldigte infrage kommen könnten.

Autor: Reto Stifel

Archivfoto: «Die Südostschweiz»