Sonntag, 20. August 2017. Ein warmer Sommertag. Es herrscht Hochbetrieb in der Val Bondasca oberhalb von Bondo. Alle Parkplätze sind belegt. Die Besitzer von Maiensässen sind im Tal. Die Wanderer. Die Kletterer. Die Biker. Beim Parkplatz Laret ist Schluss. Das Bike bleibt stehen, der steile, abenteuerliche, aber äusserst attraktive Weg zur SAC-Hütte Sacs Furä ist Wandergenuss pur. Aus der Ferne hört man Steine, die runterfallen. In Richtung Pizzo Cengalo liegt Staub in der Luft. 

In Bondo, beim Parkplatz Laret und auch in der Hütte warnt eine grosse Tafel: «Ein weiterer Bergsturz kündigt sich an!» Und: «Man geht davon aus, dass ein Teil dieser instabilen Felsmasse in den nächsten Wochen und Monaten als Fels- und Bergsturz niedergehen.» Man nimmt es zur Kenntnis. Geniesst den schönen Tag. Kehrt am Abend zurück mit vielen Erinnerungen und weiss noch nicht, dass der erste Besuch in der Val Bondasca wohl für sehr lange Zeit der Letzte gewesen sein wird. 

Mittwoch, 23. August 2017 kurz vor Mittag auf der EP/PL-Redaktion in St. Moritz. Eine Meldung geht ein, dass die Strasse ab Sils in Richtung Bergell gesperrt ist. Erster Gedanke: Der Abschnitt zwischen Sils und Plaun da Lei ist wieder einmal verschüttet. Später dann erste Gerüchte von einem Bergsturz, Videos und Bilder werden auf den Sozialen Medien geteilt, die Kantonspolizei informiert offiziell: Drei Millionen Kubikmeter Fels sind zu Tal gedonnert, das hat einen Murgang ausgelöst, Teile des Dorfes Bondo mussten evakuiert werden. Acht Wanderer werden vermisst. 

Donnerstag, 11. August 2022. Interviewtermin beim Gemeindepräsidenten von Bregaglia. Vom Büro von Fernando Giovanoli sieht man auf die Grossbaustelle. Seit knapp einem Jahr sind die Arbeiten für neue Schutzbauten im Gang. Dauern werden sie noch bis 2025. Die landschaftlichen Narben, die der Bergsturz zurücklassen wird, werden nie verheilen. Und die Seelischen? Wohl auch noch lange nicht. Das zeigen die vielen Gespräche, die die Redaktion mit Betroffenen für diese Bondo-Schwerpunkt-Zeitung geführt hat. 

Mit ein Grund dafür ist die schleppende Arbeit der Bündner Justiz. Die Staatsanwaltschaft hat die Untersuchungen mit der Fragestellung, ob der Bergsturz voraussehbar und damit der Tod von acht Bergwanderern hätte verhindert werden können, gemäss dem Bundesgericht zu früh eingestellt. Und jetzt, wo endlich ein neutrales Gutachten erstellt werden soll, zeigt sich, dass der vorgeschlagene Experte wohl befangen ist. Zurück auf Feld eins also. Das ist extrem belastend. Für die Behörden, die nicht wissen, ob gegen sie eine Strafuntersuchung eingeleitet wird. Aber auch für die Angehörigen, die ihre Liebsten verloren haben, und die endlich abschliessen möchten mit dem Ereignis.

Warum dann nicht einfach ruhen lassen? Weil zu viele Fragen offen sind. Weil diese zuerst geklärt werden müssen, um die nötigen Lehren ziehen zu können. Weil, sollte es zu Strafverfahren und sogar zu Verurteilungen kommen, das Signalwirkung haben könnte und es in Zukunft wohl noch schwieriger werden dürfte, Behördenmitglieder zu finden.

Fünf Jahre nach dem Bergsturz in Bondo: Wir haben vier Leute porträtiert, die auf unterschiedliche Weise vom Bergsturz betroffen waren. Wir haben mit dem damaligen Vizepräsidenten und heutigen Gemeindepräsidenten Fernando Giovanoli gesprochen. Wir haben recherchiert, welche Lehren aus dem Ereignis gezogen worden sind. Wir waren auf der Grossbaustelle und wir haben vier Orte mit der Kamera besucht und stellen die aktuellen Bilder jenen von 2017 gegenüber. All das gibt es zu lesen in der EP/PL vom Dienstag, 23. August. 

Autor: Reto Stifel

Foto: Giancarlo Cattaneo/www.fotoswiss.com