Der alternde Sportreporter, der vor Urzeiten dem dreifachen Schwingerkönig Hunsberger Rüedu die Hand gegeben hat, sieht sich alleine dadurch befähigt, auf Walther Ädu zu tippen. Meine geschätzte Redaktionskollegin aus unserem nördlichen Nachbarland weiss erst seit kurzem, wie man Schwingen buchstabiert und will sich schon mit Käser Remo ins Sägemehl legen. Unser Praktikant mit portugiesischen Wurzeln hat Schwingen auch nicht in seiner DNA. Trotzdem: Er hat einen Teilnehmer mit dem gleichen Vornamen gefunden. Das reicht, um ihn zum Favoriten zu stempeln. Der Verantwortliche für die Posta Ladina lässt seinem Lokalpatriotismus freien Lauf: Klar gewinnt ein Unterengadiner. Ein weiterer Kollege, ebenfalls frei von jeglicher schwingerischen Kompetenz, erinnert sich an einen alten Film und sieht Beat Schlatter im Schlussgang. Die Kollegin, die sich im Alltag primär mit Kultur rumschlägt, fordert Smoking statt Schwingerhosen und Federmatratze anstelle von Sägemehl. Und der Schreibende überschätzt sich masslos. Kann das gut kommen? Machen Sie sich selber ein Bild.... (rs)

 

Daniel Zaugg: Ein Berner macht’s

Ich durfte – und das unterstreicht meine Qualifikation als Fachmann hier – vor langer Zeit in Bolligen bei Bern dem legendären und dreifachen Schwinger-König Hunsperger Ruedi mal die Hand schütteln. Danach war meine Hand zwei Monate lang kaputt.  Und bis vor einem Monat noch hätte ich ein halbes Monatsgehalt auf Giger Samuel als Schwingerkönig in Pratteln gesetzt. Die letzten eineinhalb Jahre hat der sympathische Thurgauer den Schwingsport dominiert. Und der Titel wäre dem 24-Jährigen wahrlich zu gönnen. Aber, den Königstitel wird sich mit Walther Adrian wieder mal ein junger Berner holen. Wie in der Vergangenheit schon Rüfenacht Silvio, Käser Ädu und Wenger Kilian. Wer nacheinander am Bernisch-Kantonalen und auf dem Brünig gewinnt, geht als mein Favorit nach Pratteln. Der knapp 21-jährige Hochbauzeichner hat ausserdem in dieser Saison von allen Schwingern bisher das intensivste Programm hinter sich. Bis und mit Brünig hat er sagenhafte 30 Eidgenossen (das sind die Schwinger, die bei einem Eidgenössischen schon mal einen Kranz geholt haben) zugeteilt bekommen. Und was macht der schlaksige, «nur» 100 Kilo wiegende Doppelmeter mit den hochdekorierten Gegnern meistens? Er zieht kurz, lässt sie in der Luft zappeln, schaukelt nach links, nach rechts und wirft sie dann einfach platt auf die Schultern. Ausserdem kann sich der Habstetter, wenn er denn mal in Bedrängnis kommt, im Bodenkampf ausgezeichnet verteidigen und verfügt – beim zweitägigen Eidgenössischen mit acht Kämpfen ganz wichtig – über die nötige Kondition. Das Eidgenössische ist zudem eine Art Mannschaftssport und die Berner kommen mit einer gewaltigen Armada nach Pratteln. Walther Ädu schwingt übrigens im gleichen Klub wie damals der Hunsperger. Ein ziemlich gutes Omen, wie ich finde. Zum Glück schreibe ich für die EP/PL, weit weg von Pratteln, und werde Walther nach seinem Triumph nicht die Hand schütteln können.

Denise Kley: Remo Käser setzt das Sägemehl in Brand

Okay, ich gebe es zu: Bis vor Kurzem wusste ich nicht einmal, dass diese Sportart überhaupt existiert. Beim Fotoshooting musste ich den werten Kollegen und Schwingerexperten Zaugg gar fragen, wie rum man in die Hose schlüpft. Und ich soll nun meinen Senf dazu abgeben, wer sich das Kränzchen sichert. Puh, das ist bis dato wohl die herausfordernste journalistische Prüfung meiner Karriere. Was macht eine Journalistin also, die von der Materie keinen blassen Schimmer hat? Richtig, sie fragt erstmal Google. Und da frau nun mal auf optische Reize anspricht, spuckt die Suchmaschine ihr eine Auflistung der bestaussehendsten Schwinger aus. Uiuiui, Remo Käser setzt das Sägemehl aber in Brand. Und da ich ohnehin eine Schwäche für Berner Jungs habe, könnte das ganz gut zwischen uns passen, oder? Aber zu früh gefreut, die Schweizer Illustrierte desillusioniert mich zehn Sekunden später: Der feurige Alpengladiator mit den eisblauen Augen ist bereits glücklich vergeben. Schade. Aber da ich gemäss meinen Kollegen eine ganz passable Figur in der Schwingerhose abgebe und mein Blick auch den gestandensten Schwinger vor Furcht erzittern lässt, steht nun tatsächlich die Überlegung im Raum, einem Schwingclub beizutreten. Bis dahin muss ich aber noch üben, wie man sich die Lederhose richtig anlegt und wie man einen Wyberhaken ausführt. Wer weiss, vielleicht lerne ich den Remo ja doch noch kennen – und kann meinen Favoriten dann zumindest auf dem Sägemehlplatz aufs «Chrüz» legen.

Jon Duschletta: Beat Schlatter, um ein Haar ...

Pratteln, Sonntag, 28. August, 16.45 Uhr. Schlegel Werner lässt seine Fingergelenke laut knacken, zieht den Gurt seiner hellen Schwingerhose um ein Loch nach und setzt einen bösen Blick auf.  Schlatter Beat richtet die Sonnenbrille zurecht und fährt sich mit beiden Händen durch die Haare. Gel verklebt ihm die Hände. Die Spannung steigt, die Sonne brennt erbarmungslos und Schlatter hat Durst. Zu spät, der Kampfrichter steht hin und ruft: «Guet!» Der 19-jährige Toggenburger Schlegel – 100 Kilogramm Körpergewicht, 187 Zentimeter und pralle Zimmermanns-Muskeln – stellt sich Schlatter vor die Sonne und versucht ihm böse aber erfolglos in die Augen zu schauen. Stattdessen packt Schlegel Schlatter an der Schwingerhose und stemmt seinen gestählten Körper gegen diesen. Der 61-jährige Schlatter schluckt leer, ruft sich kurz seine schwingerischen Höhepunkte ins Gedächtnis – im Streifen «Hoselupf – oder wie man ein Böser wird» 2011 von This Lüscher filmisch festgehalten – und packt seinerseits Schlegel am Hosenbund. Er schwitzt. Sie halten sich, ächzen und stöhnen, drücken und ziehen. Jetzt endlich, Schlatter hebt Schlegel abrupt in die Höhe und setzt zum Wyberhaken an. Schlegel verliert das Gleichgewicht, wankt, fällt langsam nach hinten. Just jetzt rutschen Schlatters Finger langsam von Schlegels Hosenbund. Schlegel dreht sich im Fallen elegant zur Seite und landet seitlich im Sägemehl. Es staubt. Schlatter schaut ungläubig auf seine gelverschmierten Hände, sitzt entkräftet ins Sägemehl und lässt sich, eine Hand Schlegels immer noch an seiner Hose, nach hinten fallen ...

Marie-Claire Jur: ... lieber Bettfedern als Sägemehl ...

Holt der Giger Samuel den Kranz oder der Burkhalter Stefan oder am Ende der Odermatt Adrian? Das sind zugegebenermassen weltbewegende Fragen. Doch merkwürdigerweise rauben sie mir im Gegensatz zu meinen Redaktionskollegen nicht den Schlaf. Ich könnte ehrlich gesagt auch ganz gut ohne das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest leben. Erstens interessieren mich Mannsbilder, die über zwei Meter gross und 130 Kilos schwer sind und zudem noch Schuhgrösse 47 tragen, ganz prinzipiell nicht. Sie passen schlicht nicht in mein Beute-Schema. Ferner halte ich das Outfit dieser Kampfsportler, allem voran die Zwilch-Hosen, für total verstaubt. Es wäre an der Zeit, einen internationalen Fashion Designer oder eine Schweizer Modeschöpferin um eine Neuschöpfung dieser grobtuchigen Unter-/Überhosen zu bitten. Und fremd ist mir beim Schwingen auch dieses «sich ins Sägemehldrücken». Einfach primitiv, geschmacklos und humorlos dazu. Wenn wenigstens Frauen zu Mixed-Wettkämpfen zugelassen wären! Dann könnte ich dieser körpernahen Aktivität noch etwas abgewinnen. Vor allem, wenn die Kleidung etwas legerer oder vornehmer wäre: Die Ladys im langen schwarzen (ärmellosen) Kleid, die Herren im Smoking. Anfreunden könnte ich mich auch mit der Variante Rüschchenkleid (à la French Cancan) versus historische Offiziersuniform (vorzugsweise napoleonisch). Dann würden die Kleiderfetzen fliegen! Zentrale Bedingung für ein amüsantes «sich aufs Kreuz legen» wäre aber der Wechsel von Sägemehl auf Bettfedern, nicht wahr?

Nicolo Bass: Michêl Denoth aus Tschlin!

Wenigstens in Sachen Schwinger-Postur bin ich meinen Redaktionskollegen überlegen. Diese «Spargeltarzans» würde ich mit links besiegen. Ich wäre auch der erste Schwinger in der Geschichte, der mit einem Sponsor auf der Brust und mit Flatcap den Siegeskranz entgegennehmen dürfte. Aber für einen Sieg am Eidgenössischen wird es niemals reichen. Dafür muss ich kein Prophet sein. So einsichtig bin ich natürlich und ich kenne meine Fähigkeiten.  Trotzdem habe ich bereits mal an einem Schwingfest teilgenommen. Nämlich am Bündner-Glarner Kantonalschwingfest 2017 in S-chanf. Nicht als Teilnehmer, sondern als Helfer und Verantwortlicher für die Kommunikation. Bis dahin hatte ich gar keinen Bezug zu diesem Nationalsport. Trotzdem hat mich die Schwinger-Atmosphäre und insbesondere die Initiative in der Region fasziniert. Deshalb setze ich hier auch auf einheimische Kraft: Schwingerkönig wird Michêl Denoth aus Tschlin – irgendwann! Vielleicht?Auch im Unterengadin ist in den vergangenen Jahren – dank der Initiative und Leidenschaft von Jon Fadri Carpanetti – eine kleine Schwingerszene entstanden. Es ist beeidruckend, wie ein Dutzend Jugendliche im Sommer und Winter in Crusch/Sur En einmal in der Woche in die Schwingerhosen steigen und den «Hosenlupf» üben. Und wer weiss: Irgendwann wird sich vielleicht auch ein Unterengadiner für den Eidgenössischen qualifizieren. Und wenn es nicht Michêl Denoth sein wird – er musste wegen Schulterschmerzen und Rückenbeschwerden bereits aufgeben – wird es hoffentlich Albin Riatsch aus Sent, Claudio Regli aus Tarasp, oder dann der junge Andri Thomas aus Ardez sein. Die Ziele sind gesetzt!

Reto Stifel: Angenommen ...

Angenommen, der Umfang meiner Oberarme würde jenem meiner Oberschenkel entsprechen. Angenommen, man könnte Stucki Chrigus Oberschenkel klonen und mir annähen. Angenommen, ich hätte einen Nacken wie Siegermuni «Magnus vom Schönenberg» und angenommen, ich könnte so böse in die Kamera gucken wie Kollegin Jur – aber Hallo, dann wäre ich so etwas von parat für dieses Schwingfest. Mit meinem Gardemass von 194 Zentimetern und meinem Lebendgewicht von 85 Kilo, könnte ich es locker mit den Stuckis, Wengers und Gigers aufnehmen. Oder es zumindest versuchen. Zugegeben, etwas viel Schein und etwas wenig Sein, einfach ein Plagööri, wie wir Berner sagen. Apropos Berner: Ich bin skeptisch, ob es einer von ihnen macht. Gnägi vielleicht, oder Wenger. Stucki nicht. Zu lange verletzt, zu wenig Praxis. Und die Bündner? Orlik Armon? Warum nicht, der hat gut geschwungen diese Saison. Die Zentralschweizer? Ja, der Wicki Joel, wenn der zu seinem Paradeschwung, dem Kurz, ansetzt, dann ... Sie merken: Da spricht ein Fachverständiger. Der Stifel hats vielleicht nicht in den Oberarmen, dafür im Kopf. Halt doch ein Plagööri. Okay, ich soll einen Sieger-Tipp abgeben? Unspektakulär: Giger Samuel aus Ottoberg im Thurgau wird am Sonntag Abend als neuer Schwingerkönig den Siegermuni in Empfang nehmen. Er ist übrigens auch 194 Zentimeter gross. Wie ich. Ich hätte doch Schwinger werden sollen.

Tiago Almeida: Tiagos sind die Besten!

Ich war nie wirklich der Sportlichste und wenn es jetzt noch um eine Ringsportart geht, bin ich schon ganz raus. Und jetzt wird mir die Frage gestellt, auf wen ich beim Eidgenössichen Schwingerfest wette. Dass ich dabei nicht in meinem Element bin, ist leicht untertrieben. Doch dann fand ich heraus, dass ich auf dem Sägemehl ja einen Namensvetter habe. Ein paar Recherchen später und schon finde ich heraus, dass es sich hierbei um Tiago Vieira handelt, der Aargauer, der als der momentan schwerste Schwinger bekannt ist. Cool, wenn ich nun jemanden aussuchen muss, der den Siegertitel nach Hause bringt, dann setze ich auf den 30-jährigen portugiesischen Koloss.  Für jemanden, der bisher 15 Kränze gewonnen hat und 160 Kilo schwer ist, stehen die Chancen nicht gerade schlecht. Bei solch einer Sportart wird man doch den Gegner gut zu Boden kriegen können, indem man sein Körpergewicht ausnutzt. Spezialisten werden sagen, dass da viel mehr dahintersteckt, doch ich glaube mit Doktor Google auf meiner Seite sind das gute Analysen. Wer braucht schon spezielle Griffe? Rohe Gewalt machts! Ein weiterer Grund, warum mir Vieira sympathisch scheint, ist seine Leidenschaft für Cordon bleus, was lustigerweise ebenfalls eine meiner Leibspeisen ist. Spätestens jetzt ist doch klar, dass er der einzig wahre Sieger sein kann. Meine professionelle Meinung für Vieira: Iss genug Cordon bleus, dann wirst du allen zeigen können, was so in dir steckt.