«Der Fang seines Lebens»: So hat die EP/PL in ihrer Ausgabe vom 5. Mai getitelt. Eine masslose Untertreibung, wie sich jetzt, vier Monate später zeigt: Gian Claudio Wieser aus Sent hat am Inn bei Martina eine kapitale Forelle mit einer Länge von 91 Zentimetern und einem Gewicht von 10,25 Kilo gefangen. «Ein Monsterfisch», sagt Wieser rückblickend, und das will etwas heissen. Denn der 54-Jährige hat sich darauf spezialisiert, grosse Fische mit der Angel zu überlisten, und er hat damit auch immer wieder Erfolg. Doch das, was ihm am Sonntag passiert ist, war auch für ihn aussergewöhnlich. Er fischte direkt beim Auslauf des EKW-Stollens, weil dort das Wasser weniger trüb war als weiter unten, wo Wieser normalerweise steht. «Es gab eine riesen Tasche, und ich habe sofort gespürt, dass das ein Kapitaler sein muss», sagt er. 

 

Zweifel während des Drills

Spätestens, als die Forelle mit dem Silk bei grosser Geschwindigkeit im Stollen verschwand – gegen die Wassermassen und die sehr starke Strömung –, wusste er, was ihn erwartet. «In diesem Moment habe ich bezweifelt, ob ich den Fisch an Land bringe.» Seine Erfahrung im Drill grosser Fische hat ihm geholfen. Wann löst er die Bremse um dem Fisch Freiraum zu geben, wann zieht er die Bremse wieder an, um ihn unter Druck zu setzen und müde zu machen? Weil der Fisch so stark war, musste Wieser die Rute oft mit beiden Händen halten. «Ich hatte am nächsten Tag sogar Muskelkater in den Armen», erzählt er. 

Im Moment des Drills sei in ihm alles wie in einem Film abgelaufen. Jegliches Zeitgefühl sei verloren gegangen, und als er den Fisch nach einer geschätzten Viertelstunde mit einem Kiemengriff an Land hatte befördern können, sei er einfach nur erleichtert gewesen. «Dass ich nach meinem Fang zu Beginn der Saison einen noch viel grösseren Fisch überlisten könnte, hätte ich nie gedacht», sagt Wieser selbst erstaunt. Obwohl: Vor zwei Jahren hatte er etwas weiter flussabwärts bereits einmal einen Kapitalen am Haken, verlor diesen aber kurz bevor er ihn an Land hätte ziehen können. «Ich schätzte den Fisch damals auf gut 80 Zentimer. Wenn er jetzt, zwei Jahre später, 91 Zentimer lang ist, könnte das hinhauen.» Will heissen, Wieser hat ziemlich sicher den Fisch gefangen, mit dem er bereits vor zwei Jahren Bekanntschaft gemacht hatte.

 

Wissen, Erfahrung und etwas Glück

Bereits als Vierjähriger ist der Senter mit seinem Vater zum Fischen gegangen, mit 16 Jahren hat er sein erstes Fischerpatent gelöst. Tippfischen, Fischen mit der Fliege oder der Nymphe und vieles mehr: Gian Claudio Wieser hat im Laufe der Jahre alle Techniken kennengelernt, sich ein grosses Wissen angeeignet. Dazu kommt die immense Erfahrung. «Wenn ich fischen gehe, habe ich mehr als nur eine Rute im Auto. Das erlaubt es mir, mich je nach Wetter oder Wasserstand anzupassen und mit der richtigen Technik zu fischen.» Wieser bezeichnet sich selber als ambitionierten, teilweise auch etwas verbissenen Fischer. «Wie sonst im Leben auch ist mein ständiger Ansporn, an Details zu feilen und jeden Tag etwas besser zu machen. Trotzdem steht bei mir der Respekt gegenüber der Natur und den Tieren immer an erster Stelle», betont er. Um eine so grosse Forelle überlisten zu können, braucht es auch ein wenig Glück. Doch primär seien es die vielen Stunden Vorbereitung, das Beobachten und die Auseinandersetzung mit der Thematik, die zum Erfolg führten. Dazu gehöre selbstverständlich auch die richtige Ausrüstung mit dem passenden Köder – im Fall der beiden grossen Fische, die er in dieser Saison gelandet, hat ein grosser Wobbler, also ein Kunstköder, der ihm letzlich den Erfolg beschert hat. 

Die kapitale Forelle, ob es eine Bachforelle ist, kann aufgrund der speziellen Zeichnung nicht zu hundert Prozent gesagt werden, liegt jetzt, so wie er sie gefangen hat, in der Tiefkühltruhe. Mit grösster Wahrscheinlichkeit wird er sie präparieren lassen und dann in der Wohnung aufhängen. Andere Fisch-Trophäen hängen bereits dort. Und nach den Erfahrungen in dieser Saison dürfte Gian Marco Wieser an der Wand einen Platz frei lassen. Man weiss ja nie ...