Das kann doch nicht sein. Das kann doch nicht sein, dass der international bekannte Fotograf Robert Bösch in seiner neuesten Ausstellung im Hotel Carlton in St. Moritz ein Bild verkehrt herum aufgehängt hat! Nein, selbstverständlich hängt das Bild richtig, was sich den Betrachtenden allerdings erst beim näheren Hinsehen erschliesst. Es ist eine hochformatige, schwarz-weiss-Aufnahme des Biancogrates. Auf der linken Seite drücken Wolken an den Schneegrat, der teilweise im gleissenden Sonnenlicht glänzt. Die rechte Seite des unregelmässig geschwungenen Grates liegt im Schatten, nur der oberste Teil bekommt auch etwas Sonnenlicht ab. Darum dieser erste Eindruck aus der Ferne mit der Feststellung, dass wenn das Bild quer hängen würde, eine «normale» Berglandschaft zu sehen wäre.
Nur, das «Normale», das landläufig als «schön» geltende, interessiert Bösch nicht wirklich. «Der Schlüssel zu den spannenden Bildern ist, in der Landschaft unterwegs zu sein», sagt er. Vor Ort sein und die Bilder suchen, die man auf den ersten Blick oft nicht erkennt. Unterwegs sein, sei es zu Fuss, mit dem Fahrrad, dem Auto oder auch mal mit dem Helikopter. Wie bei den Aufnahmen des Biancogrates. Eigentlich wollte Bösch gar nicht dort hin fliegen, er wollte in der Val Roseg fotografieren, weil dort zuerst viel Restbewölkung war. «Als wir angekommen sind, war es aber komplett offen und für mich zum Fotografieren nicht mehr spannend. Dann aber habe ich gesehen, dass am Biancograt mit den Wolken etwasSpannendes abläuft. So sind diese Bilder entstanden.» Noch vor 15 Jahren wäre er ganz anders an einen solchen Fotoauftrag herangegangen. Hätte sich genau überlegt, wo die besten Blickwinkel sind, wann die Sonne auf- oder untergeht und die Landschaft in das «richtige» Licht rückt. «Heute bin ich oft ohne genaues Konzept unterwegs, auf der Suche nach starken Bildern.» Diese Herangehensweise beinhaltet die Gefahr des Scheiterns und bedingt Flexibilität, wenn etwas nicht so ist, wie man sich das vielleicht vorgestellt hat. «Viele der spannendsten Bilder sind dann entstanden, wenn mich die Hoffnungslosigkeit befallen hat. Wenn ich das Gefühl hatte, da gibt es gar nichts mehr zu fotografieren. Dann beginnst du mit einem anderen Blick zu schauen und Sachen auszuprobieren.»
Nicht von Hoffnungslosigkeit geprägt war seine Tour im Sommer 2021 ins Bergell. Kurz zuvor hatte es tief hinunter geschneit, der feuchte Schnee blieb an den Granitzacken und Felswänden der Bondasca-Gruppe kleben. Die Wiesen oberhalb von Soglio waren saftiggrün, der Himmel tiefblau – die schöne Postkartenansicht, das klassische Bild. Solche Situationen geniesst Bösch auch, als Wanderer, als Bergsteiger, aber es ist nicht das Bild, welches er fotografieren will. «Beim runtergehen kam ich an einem Ort vorbei und wusste sofort: Von hier aus funktioniert das Bild völlig anders, es bekommt etwas Abstraktes.» Betrachtende sehen vielleicht ein Segantini-Gemälde vor sich, Bösch beschreibt es nüchterner. «Es ist, wie wenn drei Kulissen hintereinander geschoben worden wären.»
In der Ausstellung «Moving Mountains» sind 24, teils grossformatige Bilder zu sehen, viele in Schwarz-Weiss. Fast alle sind in den Jahren 2020 und 2021 entstanden und sind so noch nie gezeigt worden. Es handelt sich um eine Auftragsarbeit von Götz Bechtolsheimer, er gehört zur dritten Generation der Eigentümerfamilie der «Tschuggen Colletion» mit Luxushotels in Arosa, Ascona und eben St. Moritz. Die Ausstellung war bereits in Ascona zu sehen und wird nach St. Moritz auch noch in Arosa präsentiert. Je nach Region wird der geografische Schwerpunkt etwas anders gelegt. Die Bilder sind in rund eineinhalb Jahren in den Regionen Tessin, Engadin/Bergell und Arosa/Schanfigg entstanden. Ich hatte völlig freie Hand, in diesen Regionen Bilder zu machen. Ich konnte arbeiten, wie ich gerne arbeite.»
Das Resultat spricht für sich. Ein Besuch der Ausstellung lohnt sich und auch wenn die Anzahl der ausgestellten Bilder überschaubar ist, empfiehlt es sich, genügend Zeit einzurechnen. Denn nur der flüchtige Blick würde den Bildern nicht gerecht werden.
Die Ausstellung ist öffentlich und noch bis zum 16. Februar im Hotel Carlton in St. Moritz zu sehen.
Autor und Foto: Reto Stifel
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