Auf der Landkarte der Schweiz ist das Unterengadin ein exponierter Zipfel. Das Inntal gilt oder galt darum als mögliche Einfallsachse, um die Schweiz militärisch zu besetzen und zu erobern. Heute können sich wohl nur wenige vorstellen, wie Panzer und Infanterietruppen durch das Engadin rollen und marschieren. Aber im Zweiten Weltkrieg und auch später im Kalten Krieg war das ein Szenario, wofür die Schweizer Armee gewappnet war – mit gut getarnten und in die Tiefe gestaffelten Festungsanlagen und Panzersperren.
Toblerone-Reihen aus Beton
Die erste Sperre befand sich bei Ramosch. Danach folgte eine Zone mit ungünstigem Gelände; eine Sperre im Talboden bei Scuol hätte man relativ leicht umgehen können, sei es über Ftan oder über Vulpera-Tarasp auf der anderen Talseite. Doch vor dem strategisch wichtigen Flüelapass war eine weitere und schlagkräftige Sperre essenziell. Lavin bot sich an, denn hier gab es keine leichten Ausweichrouten. Zudem bildete das Dorf mit der Schlucht des Lavinuoz eine natürliche Barriere. Und auch die Friedhofsmauer wurde ins Panzersperrkonzept integriert, das im offenen Gelände aus zahlreichen Betonzacken (Höckerlinien) bestand. Diese grauen «Toblerone-Reihen» sind auch heute noch gut ersichtlich. Gleichzeitig baute die Schweizer Armee sechs gut getarnte Festungen in die Berghänge, um die feindlichen Truppen aus allen Richtungen beschiessen zu können – mit insgesamt zwölf Maschinengewehren sowie drei Panzerabwehr- oder Infanteriekanonen. «Für den Zweiten Weltkrieg war das eine hohe Feuerdichte», erklärt Hans Stäbler. Der pensionierte Oberstufenlehrer aus Filisur kennt die Bündner Festungen so gut wie Kaum ein anderer. Sein Vater war Berufsmilitär und Festungswächter, was schon früh Stäblers Interesse an der Schweizer Militärgeschichte weckte.
Im Umkreis von nur 800 Metern
Hans Stäbler teilt sein umfangreiches Fachwissen gerne mit anderen Menschen und organisiert Führungen durch verschiedene Bündner Festungen, seit vier Jahren auch durch jene in Lavin sowie in Ova Spin am Ofenpass. «In Lavin schauen wir uns das Hauptwerk an und je nach Gruppe eine Betonbunkeranlage», erklärt Stäbler und weist darauf hin, dass man relativ weite Wege laufen muss, da die Anlage in Lavin breit verteilt liegt. Wer weniger laufen will, dem empfiehlt er eine Besichtigung der Festung Ova Spin. «Hier sieht man Schützengräben aus dem Ersten Weltkrieg, Stellungen aus dem Zweiten Weltkrieg und Minenwerferstände und Schutzunterstände aus dem Kalten Krieg – 100 Jahre Befestigungsgeschichte im Umkreis von nur 800 Metern. Für mich die aussagekräftigste Sperrstelle in Graubünden, vielleicht sogar der Schweiz.»
Autor: Franco Furger
Dieser Artikel ist erstmals im Unterengadiner Gästemagazin «Allegra» erschienen.
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