Mitternacht ist schon vorbei. Aber auf der Bühne des Open Air Chapella kommen die sechs Jungs von Addicted erst so richtig in Fahrt. Bevor mit «Last Goodbye» ein langsameres Stück folgt, lassen sie es mit dem etwas älteren Stück «Revenge of Life» und «The Sin» so richtig krachen. Das kleine, aber treue Chapella-Publikum, darunter etliche Addicted-Fans, spüren die Spielfreude und die Energie, die von der Band ausgeht. Vergessen der etwas harzige Start nach technischen Problemen beim Aufstellen des Musik-Equipments. Nach den Auftritten von Curdin Nicolay und Cinzia könnte der Stilwechsel zwar nicht krasser sein. Doch um diese Zeit sind die Kinder längst am Schlafen und wer mit Metal nichts anfangen kann, entweder schon im Zelt oder zu Hause.
20.00 Uhr. Rund drei Stunden vor dem Auftritt. Im Backstage-Raum der «Kapelle» findet der Interviewtermin mit den sechs Bandmitgliedern statt. Wer finster dreinblickende Jungs in schwarzem Leder gekleidet und mit viel Silberschmuck ausgestattet, erwartet, liegt falsch. Gitarrist Adrian Krüger fragt den Interviewer zuerst, ob er ihn duzen dürfe, was zum einen auf die gute Kinderstube schliessen lässt, zum anderen auf das Alter des Schreibenden. Seit einem Jahr sind Addicted nicht mehr live aufgetreten und die Vorfreude auf den Gig beim Open Air Chapella ist bei allen sechs spürbar. «Wir wollen auf der Bühne vor allem Spass haben. Ob eine Band mit Freude und Energie spielt, spürt das Publikum nach den ersten zehn Sekunden», sagt Keyboarder Daniel Freitag. «Und wenn es gelingt, diese Energie aufs Publikum zu übertragen, ist das schon ein super Feeling», ergänzt Schlagzeuger Boby Mihajlov. Seit gut eineinhalb Jahren ist die Band in der aktuellen Formation zusammen. Neben Freitag und Mihajlov sind das die beiden Gründungsmitglieder Dale Trutmann (Gitarre) und Jomi Delnon (Bass) sowie Adrian Krüger und Sänger Daniel Jardim.
Die Präferenz in Sachen Musikstil ist bei allen sechs die gleiche: Metal. Ihre Musik ordnen sie dem Genre des Melodic Metal zu. «Aber jeder von uns hört wieder andere Bands, bringt deren Einflüsse rein und formt damit unseren Sound», sagt Dale Trutmann. «Wir haben recht viel Abwechslung in unseren Liedern, es gibt beispielsweise auch Balladen», ergänzen Adi Krüger und Jomi Delnon.
Doch das, was Addicted wirklich ausmacht, sind die härteren Stücke, dort, wo sie auf der Bühne so richtig Gas geben und ihre ganze Power in die Musik bringen können. Sinnbildlich dafür steht Sänger Daniel Jardim aus S-chanf. Er ist das Bandmitglied, welches am kürzesten dabei ist und trotzdem prägt er mit seinem energiegeladenen Stil den Auftritt von Addicted ganz entscheidend mit. «Vorher war ich in einer Rockband, mit der wir vor allem Coverstücke vorgetragen habe. Doch das, was ich jetzt mit Addicted machen darf, ist das, was ich schon immer machen wollte.» Seine Bandkollegen geben die Blumen zurück. «Daniel performt extrem, er lebt unseren Sound auf der Bühne voll aus.»
Mit ein Grund, dass es um Addicted in letzter Zeit etwas ruhiger geworden ist, ist die Aufnahme eines neuen Studioalbums, welches im Herbst auf den Markt kommen sollte. Erste Ideen nach der in Eigenproduktion entstandenen CD «Land full of Secrets» (2008) und einer EP mit fünf Songs (2014) ein neues Album aufzunehmen, gab es bereits vor über vier Jahren. Effektiv gearbeitet an den neuen Songs hat die Band eineinhalb Jahre, eingespielt wurden sie während zwölf Tagen in ihrem eigenen Studio in St. Moritz mit einem professionellen Produzenten. Brachialer und härter als früher seien die neuen Songs, sagt Boby Mihajlov. «Aber insgesamt ist es ein ausgewogenes Album geworden», sind sich die Bandmitglieder einig.
Neben dem zeitlichen Engagement für das Einspielen und die Aufnahme der Songs musste das Album auch finanziert werden. Keine einfache Sache in der heutigen Zeit. «Wir haben unsere Bandkasse geplündert und jeder hat aus dem eigenen Sack einen Batzen beigesteuert», sagt Dale Trutmann. Gereicht hätte das aber immer noch nicht. Darum hat Daniel Freitag die öffentliche Hand angeschrieben. Die Gemeinden S-chanf, La Punt und St. Moritz haben Beiträge geleistet, ebenso die Region Maloja, das Amt für Kultur des Kantons Graubünden und die Graubündner Kantonalbank. «Wir schätzen diese Unterstützung sehr», sagt Daniel Freitag. Gerade weil Addicted mit ihrem Musikstil Kultur mache, die nicht unbedingt Mainstream-kompatibel sei.
Wenn schon bald das neue Album erscheint, ist das für die Band auch eine Art Geburtstagsgeschenk an sich selber. Denn Addicted wurde bereits 2004 gegründet. Dass es die Band auch 20 Jahre später noch gibt, ist nicht selbstverständlich. Viele, die mit Addicted begonnen haben, sind von der Bildfläche verschwunden, die Anzahl Bands im Engadin, die einen etwas härteren Musikstil pflegen, ist überschaubar.
In der Tat: Was die sechs Jungs auf der Bühne abliefern, ist ziemlich brachial, düster und trotzdem dicht und musikalisch. 15 Jahre nach ihrem ersten Chapella-Auftritt legen sie einen Gig hin, welcher die Metal Fans begeistert und Addicted eine Extraschicht mit Zugaben beschert. Die Energie, die von der Band ausgeht, ist definitiv auf das Publikum übergesprungen. Man darf sich freuen auf das neue Album und die weiteren Liveauftritte.
Autor und Foto: Reto Stifel
Autor und Foto: Reto Stifel
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