80 Kilometer oder knappe eineinhalb Stunden Fahrzeit von ihrem ehemaligen Zuhause Premana entfernt begrüssen in Vicosoprano die beiden Brüder Marco und Giovanni sowie die beiden Schwestern Luisa und Martina Pomoni die Besucher der Messermanufaktur herzlich. 

Von aussen deutet nichts darauf hin, dass hier sorgfältig produzierte Qualitätsprodukte mit Schweizer Label für einen stetig wachsenden internationalen Markt hergestellt werden. Ein nüchterner Gewerbebau ohne jegliche Beschriftung. Ein dunkles Metalltor und hochliegende Fenster verwehren den Einblick, Videokameras überwachen die Umgebung. 

«Kids» nennt der 51-jährige Hans-Peter Bolliger die Pomonis liebevoll. Nicht ganz ohne Grund, sind doch alle unter 30, Cousins ersten Grades und in dritter Generation Abkömmlinge einer in der Tradition der Messerfabrikation fest verankerten Familie aus der 2200-Seelen-Gemeinde Premana. Die Gegend in der italienischen Provinz Lecco gilt als italienische Hochburg für die Messer- und Scherenproduktion.

Vom Trottinett zum Messer
Dass Hans-Peter Bolliger und die Familie Pomoni heute in der Schweiz zusammenarbeiten, ist einer Verkettung von Zufällen zu verdanken. Der gelernte Kaufmann war lange Leistungssportler, absolvierte dann in S-chanf, wo er heute eine Wohnung besitzt, den Militärdienst und liess sich später zum Betriebsökonom ausbilden. 16 Jahre war er Teilhaber des Trottinettherstellers Micro Scooter, lernte dort den Werber Andy Hostettler kennen und tat sich, nachdem er bei Micro Scooter ausgestiegen und seine Anteile verkauft hatte, mit diesem zusammen. Gemeinsam entwickelten sie die Idee Hostettlers weiter: ein Messer mit einem Panoramaschliff, der Bergketten nachbildet, samt den eingelaserten Namen der abgebildeten Berge auf der Klinge. Bolliger stieg ein, übernahm die Aktien­mehrheit und später die Firma PanoramaKnife GmbH ganz.

Über den Präsidenten des Verbands Schweizer Messerschmiede-Meister, H. P. Klötzli, kamen Hostettler und Bolliger schon zuvor in Kontakt zum Familienbetrieb der Pomonis in Premana. Eine wegweisende Begegnung, wie Hans-Peter Bolliger heute sagt: «Die Familie hatte eine lange, generationenübergreifende Erfahrung und das unabdingbare Fachwissen.» Es dauerte dann aber trotzdem eine ganze Weile, bis Bolliger das Vertrauen der Pomonis gewinnen konnte und diese die Vision Bolligers von rund einer Million produzierter Messer pro Jahr nicht mehr als Spinnerei abtaten.

PanoramaKnife und BregagliaKnife
Weil Bolliger seine Panoramamesser in der Schweiz produzieren wollte, kam ihm auch die nächste Fügung sehr gelegen. Denn auch die vier Pomoni-Sprösslinge der dritten Generation wollten lieber in der Schweiz als in ihrem Heimatort leben und arbeiten. Das italienischsprachige Bergell war da ein schnell gefundener und perfekter Kompromiss zu einem eigentlich angepeilten Standort im Engadin.

Mittlerweile gründete Bolliger neben der PanoramaKnife GmbH auch die BregagliaKnife Sarl. Letztere führen die Pomoni-«Kids» selbstständig und produzieren hier sogar eigene regionalverankerte Produkte wie – der grossen Leidenschaft Marco Pomonis geschuldet – Jagdmesser mit Horngriffen oder andere Outdoor- und Spezialmesser. Bolliger ist stolz darauf, mit diesen Produkten ganz offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen zu haben. Er beschäftigt sieben Mitarbeiter im Zürcherischen Forch sowie die vier Pomonis in Vicosoprano. In Sachen Umsatz- und Produktionszahlen hält er sich bedeckt, betont aber, «dass beide Firmen vollständig eigenfinanziert sind und zehn verschiedene Messertypen mit insgesamt rund 300 verschiedenen Panora­men herstellen.» 

PanoramaKnife exportiert die in Vicosoprano hergestellten Universal-, Brot-, Käse- und Outdoormesser hauptsächlich in die USA – Bolliger rechnet damit, dass der amerikanische Marktanteil schon im nächsten Jahr den der Schweiz übertreffen könnte – nach Deutschland, Österreich und rund 15 anderen Ländern, von Norwegen und Kanada über Japan bis nach Südkorea und China. Trotz wachsendem Markt hat Bolliger keine Angst vor Nachahmern und sagt: «Für grosse Firmen sind wir viel zu klein und die meisten Panoramen sind, weil lokal verortet, auch nur in einem beschränkten Umfeld gefragt. Das ist ein Vor- und Nachteil gleichermassen.» Zudem verwehrt Bolliger seine Produkte den Internet­händlern und Grossverteilern, mit Ausnahme von Globus, und setzt auf den Fachhandel, den eigenen Online-Shop und direkte Unternehmensbeziehun­gen, welche je rund ein Drittel der Verkäufe generieren.

«In das Handwerk hineingeboren»
Die 29-jährige Luisa Pomoni spricht für ihre Familienmitglieder, wenn sie sagt, dass ihr Umzug ins Bergell auch mit dem Wunsch zusammenhing, die Familientradition der Messerproduzen­ten Pomonis hier in Vicosoprano weiter- und neue eigene Ideen einzu­bringen. Obschon sie in Mailand Wirtschaft studiert hat, sagt sie übers ganze Gesicht strahlend und mit Überzeugung: «Wir alle wurden in das Messerhandwerk hineingeboren und Marco, der als Erster schon 2015 nach Vicosoprano kam, hat uns alle mit seiner Euphorie angesteckt.»

INFOBOX: Panoramamesser: Produktion, Schritt für Schritt
Mitten in einer Produktionsserie von 600 Stück Universalmesser «Best of Switzerland» mit den auf der Schneideklinge abgebildeten elf wichtigsten Bergen der Schweiz zeigen Marco, Giovanni und Luisa Pomoni, wie ein solches Messer in ganz viel Handarbeit in der Messermanufaktur in Vicosoprano entsteht. Martina Pomoni arbeitet derweil im Obergeschoss und erledigt Büroarbeit. Das Panoramamesser hat im Gegensatz zu herkömmlichen Brotmessern keinen gleichmässigen Wellenschliff, sondern einen unregel­mässig hohen, scharfen Schliff in Form der abgebildeten Bergsilhouetten inklusive dem Piz Bernina.
Die Pomonis verarbeiten in der Ostschweiz ausgestanzte und gehärtete Klingen aus zwei Millimeter starkem Klingenstahl, hauptsächlich portugiesischer Herkunft. In einem ersten Arbeitsschritt werden diese mithilfe eines Roboterarms auf eine Schleifmaschine gelegt, welche den Flachstahl in zwei Durchgängen zur konischen Klinge schleift. Der dabei anfallende Abtrag wird abgesogen, gereinigt, in grossen Säcken gesammelt und dem Stahlrecycling zugeführt.
Der Rücken der Klinge wird anschliessend in Handarbeit maschinell geschliffen und danach in eine spezielle Schleifmaschine gespannt, wo in die Klinge das jeweilige Panorama eingeschliffen wird. Dieser Arbeitsgang ist mit hohen Erstellungskosten verbun­den und bleibt daher ein gutbehütetes Firmengeheimnis. Der frische Panoramaschliff wird an der nächsten Schleifmaschine von feinen Überzäh­nen und Metallhärchen befreit, bekommt an einer langen Arbeitsbank
einen zur Zeit noch in Italien vorfabrizierten Griff aus edlem Nussbaumholz aufgesetzt, der wiederum mit drei durchgehenden Stahlnieten und präzisen Hammerschlägen mit der Klinge verbunden wird. Noch einmal werden Überzähne der Nieten weggeschliffen und der Messergriff als Ganzes sorgfältig geschliffen.
In einem Nebenraum werden danach die Messerklingen gereinigt, in eine Lasermaschine eingespannt und bekommen dort in kürzester Zeit ihre Prägung in Form des Firmenlogos und auf der Vorderseite der Panoramaklinge den eingelaserten Namen und Höhen der Berge: «Piz Bernina 4049». Zum Abschluss des Produktionsprozesses werden die Holzgriffe mit einer Leinölfirnis eingerieben, die Messer einer optischen Endkontrolle unterzogen und zum Versand in Kartonverpackungen gepackt, mit einer Visiten- und Dankeskarte bestückt und einem Produktaufkleber versehen. Letztere werden seit ein paar Jahren vor Ort selber gestaltet und gedruckt. In der Hochsaison produzieren die vier Pomoni-Geschwister bis zu 800 Panoramamesser pro Tag. (jd)

Weitere Informationen: www.panoramaknife.ch

Autor und Fotos: Jon Duschletta