Ein festlich geschmückter Jugendstilsaal, weisse Tischdecken, Kerzenleuchter, Livemusik, Gesang und Wein - die Gemeinde St. Moritz lässt sich nicht lumpen, wenn es um den alljährlichen Seniorentag geht. Die Menükarte wird vom einheimischen Koch Dumeng Giovanoli zusammengestellt und lässt schon beim Lesen an Kindheitstage denken: Schoppa da nozzas oder Maluns haben viele seit Ewigkeiten nicht mehr gegessen. Der Anlass fühlt sich wie ein grosses Familienfest an. Kein Wunder kommen die meisten Anmeldungen für den Seniorentag schon am Tag nach Verschicken der Einladungen ins Gemeindehaus geflattert. 243 Seniorinnen und Senioren haben sich dieses Jahr einen Platz am langen Festtisch ergattert. Mit gutem Grund wurde die Alterslimite für den Anlass auf 80 plus gesetzt.
Einer, der seit der ersten Ausgabe des St. Moritzer Seniorentags dabei ist, wurde vor einem Monat 100 Jahre alt. Ernst Kriemler findet es grossartig, was die Gemeinde jedes Jahr für die Ältesten von St. Moritz auf die Beine stellt. Der Einladung zu folgen, das sei Ehrensache. «Ich mach‘s noch zehn Jahre, dann höre ich aber auf», sagt Ernst Kriemler schalkhaft.
Das Zusammensein zelebrieren
«Liebe ehemalige Dorfjugend» - mit diesen Worten begrüsst Gemeindepräsident Christian Jott Jenny die geladenen Gäste. Er stellt gleich am Anfang klar, dass der Seniorentag für ihn ein Höhepunkt im präsidialen Kalender ist: «Es ist eine Gelegenheit, um das Zusammensein zu zelebrieren.» Und es sei auch eine gute Gelegenheit, um prominente Gäste einzuladen, so der Gemeindepräsident. Dabei gelte übrigens ebenfalls die Regel Ü80.
Alt-Bundesrat Hans-Rudolf Merz kann dieses Kriterien erfüllen, denn er ist am 10. November 81 Jahre alt geworden. Der FDP-Politiker aus Herisau im Kanton Appenzell war von 2003 bis 2010 Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Finanzdepartements. Während des Jahres 2009 amtierte er als Bundespräsident.
«Bü-Bü-Bündnerfleisch»
Christian Jott Jenny kann es sich nicht verkneifen, bei der Vorstellung des Ehrengasts zu sagen: «Im Bundesrat hat er sich als grosser Freund von Bündner Trockenfleisch einen Namen gemacht.» Er spricht damit den berühmten Lachanfall im Parlament an, als Hans-Rudolf Merz einen in Beamtensprache geschriebenen Text der Zollverwaltung vorlesen musste, der ihn so aus der Fassung brachte, dass er letztlich nur noch «Bü-Bü-Bündnerfleisch» hervorpresste und Tränen lachte.
Das Video ging viral. Wie ist es eigentlich, wenn man sieben Jahre lang Bundesrat war und am Schluss auf einen Lachanfall im Parlament reduziert wird? Der ehemalige Finanzminister antwortet auf diese Frage spontan: «Isch doch schöö». Er bedauere nur, dass nicht bei jedem Klick ein Rappen in die Pensionskasse eingezahlt wurde. «Damit hätte man meine Rente finanzieren können, bis ich 100 bin.»
Mit etwas Patina gut erhalten
Hans-Rudolf Merz ist seit seiner Kindheit mit dem Engadin verbunden. Ein besonderer Ort ist heute für ihn Fuorcla Surlej. Seit einer abenteuerlichen Wanderung mit Bundesratskollege Moritz Leuenberger kehrt er Jahr für Jahr dorthin zurück, um der Wirtin Grüezi zu sagen. «St. Moritz ist für mich eine der aussergewöhnlichsten Gemeinden», führt der Alt-Bundesrat weiter aus. «Allein schon, dass im fünfköpfigen Vorstand vier Personen parteilos sind, ist doch unglaublich.»
Unglaublich erscheint einigen Anwesenden, dass nebst Alt-Bundesrat mit Peter Peyer auch noch der amtierende Regierungspräsident zum kommunalen Seniorenanlass erscheint. Auf die Frage, wie St. Moritz denn« im fernen Chur» wahrgenommen werde, antwortet Peter Peyer spontan: «Blaugelb». Gelächter. «St. Moritz ist ein schöner Beitragsgeber in den kantonalen Finanzausgleich und ist touristisch ein wichtiger Ort für Graubünden», so der Regierungspräsident.
Er zeigt sich berührt von der Stimmung am Seniorentag. «Es ist wie bei diesem Gebäude: nicht mehr das jüngste, hat etwas Patina, aber hat sich gut erhalten - das gilt für Sie alle.»
Text: Fadrina Hofmann
Dumeng in fuorma!