The St. Regis Hotel, Lobby, 17 Uhr. Ein mehrköpfiges Floristen-Team richtet gerade ein imposantes, etwa fünf Meter hohes Blumengesteck an. Etliche fleissige Hände zupfen zurecht, beäugen das Ergebnis von allen Seiten, optimieren und schnippeln, es herrscht ein emsiges, speditives und einvernehmliches Treiben. Die Gäste in der Lobby nehmen davon kaum Kenntnis, sitzen bei einem Glas Champagner, bei Kaffee und Patisserie, unterhalten sich angeregt.
Das Luxushotel «The St. Regis» im Bangkoker Nobelviertel Siam ist seit gut vier Jahren der Arbeitsplatz von David Hartwig. Denn dort, im Erdgeschoss des Hotels, hat der Bündner Drei-Sterne-Koch Andreas Caminada 2020 sein erstes IGNIV-Restaurant ausserhalb der Schweiz eröffnet. David Hartwig leitet die Küche und hat sich gemeinsam mit seinem Team bereits einen Michelin-Stern erkocht. Von Bever nach Bangkok, von den luftigen Bergen in das heiss-feuchte Klima, von einem Dorf, wo sich alle kennen, in eine Megastadt mit mehreren Millionen Menschen – ein Weg, der sich für den 33-Jährigen früh abzeichnete. «Ich habe den Kochberuf gewählt, weil es mich schon immer in die Welt hinausgezogen hat. Ich wusste, dass ich längerfristig nicht in der Schweiz leben möchte», erklärt er. Nach der Lehre in der Chesa Salis in Bever hat er unter anderem in den USA, in Deutschland und im Domleschg auf Schloss Schauenstein gearbeitet. Dort hat er auch Andreas Caminada kennen- und als Chef schätzen gelernt. «Ich habe ihm gesagt, dass er jederzeit auf mich zukommen könnte, falls er im Ausland etwas aufmacht.» Nach gut einem Jahr verliess er das Domleschg und brach mit seiner damaligen Freundin in Richtung New York auf, um dort für ein neues Restaurantkonzept zu kochen. «Doch schon nach vier Monaten spürte ich, dass ich in dieser Stadt nicht glücklich werden würde. Das Tempo ist hoch, der Druck immens, man befindet sich schnell in einem Hamsterrad.»
Alles über Bord werfen
Just als er diesen Entscheid für sich persönlich fällte, erhielt er eine E-Mail vom Schloss Schauenstein. «Wir eröffnen ein IGNIV in Bangkok, und du wärst unser Wunschkandidat», lautete der Inhalt. Hartwig überlegte nicht lange. Obwohl er noch nie in Bangkok war und auch Asien nicht auf seinem Radar hatte, wollte er die Chance nutzte. Via Schweiz reiste er im November 2019 nach Bangkok, um die Eröffnung für April 2020 vorzubereiten. Kaum in Bangkok gelandet, «habe ich mich zuhause gefühlt. Ein Gefühl, das ich so in der Schweiz nie hatte.» Die geplante Eröffnung im April 2020 musste wegen Corona verschoben werden, Hartwig nutzte die Zeit, um sich in der Stadt einzufinden, anzukommen, sich in seinem Apartment einzurichten. Und: Um sich auf die Menschen dort einzulassen. «Ich habe gemerkt, dass ich meine Kommunikation und meinen Führungsstil anpassen muss. Hier herrscht eine komplett andere Arbeitskultur, ein respektvolles und friedliches Miteinander, teilweise sind die Thai schon fast ehrfürchtig gegenüber ihren Vorgesetzten.» Er hat sich also auch die Zeit genommen, in sich zu kehren und sich und seine Persönlichkeit zu reflektieren, über Bord zu werfen, was ihn bis anhin richtig erschien. Und sich auf diese Kultur, die von Respekt, Offenheit und Toleranz geprägt ist, einzulassen. «Genau deshalb fühle ich mich hier auch so wohl. Fehler werden verziehen, man ist nachsichtig und niemals nachtragend.»
Ein Haus am Meer
Nach über vier Jahren in diesem Land kann David Hartwig sagen, dass er seine Zukunft in Thailand plant. «Am liebsten würde ich zwischen Bangkok und Krabi am Meer hin und herpendeln. In Krabi würde ich mir gerne ein Haus bauen und eine Familie gründen.» In die Schweiz fliegt er meistens noch einmal im Jahr, und wenn, dann immer im Sommer. «Das Skifahren und den Schnee vermisse ich hier nicht, nein», sagt er lachend. Dies, obwohl er in seiner Jugend Eishockey spielte, gerne auf der Skipiste war, im Sommer hat er Fussball beim FC Celerina gespielt.
Die Schulzeit in St. Moritz habe er ebenfalls genossen, er habe schöne Erinnerungen an das Engadin. Aber irgendwann wurde ihm alles zu eng, er wollte die Welt sehen, sich von anderen Kulturen inspirieren lassen, neue Seiten und Leidenschaften an sich entdecken. «Früher habe ich viel und gerne Party gemacht. Irgendwann wollte ich diese Zeit hinter mir lassen. In Bangkok habe ich neue Lebensinhalte gefunden, lege einen grossen Fokus auf den Sport.» So rennt er jeden Morgen zehn Kilometer, achtet gut auf Körper und Geist, saugt auf, was ihm diese Stadt alles an Möglichkeiten bietet. Und was vermisst er aus der Schweiz, neben Familie und Freunden? «Nichts! Oder doch, etwas kommt mir in den Sinn: Das Grillieren mit Freunden und Familien im Garten, mit einer kühlen Engadiner Brise. Das habe ich in unserem Haus in Bever extrem genossen.»
Autor: Denise Muchenberger
Fotos: z. Vfg
Fotos: z. Vfg
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